Die Bedeutung der Dinge. Gruppen- und Milieuzugehörigkeit

Eine Nation weist in der Regel durch z.B. Sprachen und Gebräuche einen recht einheitlichen Kulturzusammenhalt auf. Dennoch setzt sich eine moderne Nation aus verschiedenen Gruppen unterschiedlicher Lebensstile, sowie ethnischer und religiöser Zugehörigkeiten und verschiedener städtischer und ländlicher Regionen zusammen die in ihrer Kultur von einander abweichen. Sie ist somit eine komplexe Zusammensetzung verschiedener Gruppen, mit ihren je nach Region und Gruppenzugehörigkeit variierenden Wertvorstellungen.Die Frage nach dem Selbstbild, der Identität von bestimmten Gruppen unserer Gesellschaft wird in der Milieutheorie aufgegriffen.
In der Lebensstilforschung werden Milieus als Lebensstilgruppen definiert, die sich durch bestimmte spezifische Existenzformen voneinander abheben. Ein Milieu bezeichnet eine weitestgehend homogene Lebensstilgemeinschaft von Menschen, die Vorlieben und Abneigungen in der Lebensführung, in ihrem persönlichen Ausdruck, in ihren Gewohnheiten, in ihrer Sicht der Dinge und ihren Kommunikationsgewohnheiten teilen, woraus sich ihr gruppenspezifischer Stil entwickelt. Die Ähnlichkeiten in der Lebensauffassung und der Lebensweise ist das Resultat einer erhöhten Binnenkommunikation der jew. Gruppe, daher der erhöhten Wahrscheinlichkeit persönlicher Kontakte von Angehörigen derselben Gruppe, insbesondere durch Partner- und Freundschaftsbeziehungen und im Bekanntenkreis. Diese Binnenkommunikation sorgt für die ähnliche Verarbeitung von Erlebnissen und erzeugt dadurch Gruppenbewusstsein. Die Gemeinsamkeiten innerhalb sozialer Milieus manifestieren sich in Alter, Bildung, Wohnsituation, Sprache, Kleidung, Herkunft, Einkommen, sozialer Einstellung, Musikpräferenz u.s.w. Aus Sicht des einzelnen Individuums ist der Lebensstil ein Vorrat von Orientierungsmustern und Handlungsroutinen.

Die Milieus im Sinusmodell

Die spezifischen Lebensstile werden in den Untersuchungen über soziale Milieus, zusammengefasst und einzelnen Milieus zugeschrieben. Es handelt sich dabei um ein Cluster-Verfahren, welches aufgrund der Wandlungsfähigkeit des Menschen ständigen Veränderungen unterliegt und daher nicht in einem zeitlosen Modell beschrieben werden kann.
Das Heidelberger Forschungs- und Beratungsinstitut Sinus Sociovision entwickelte das Sinus-Milieumodell in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und arbeitet für die freie Wirtschaft in der Markt- und Marketingforschung und für politische Stiftungen. In das Modell fließen keine kurzzeitigen Oberflächenphänomene, sondern lediglich real existierende Differenzen sozialer Unterschiede mit ein. Es wird durch das Sinus-Institut regelmäßig aktualisiert und verändert.
Bei der Milieuklassifizierung werden die Lebensphilosophien- bzw. Strategien, die Einstellungen zur Arbeit und zur materiellen Sicherheit, das politische Interesse, sowie die Zufriedenheit mit dem System und der Lebenssituation der Menschen untersucht. Darüber hinaus werden Familien- und Rollenbilder, Identifikationsobjekte, ästhetische Grundbedürfnisse, Sehnsüchte, die Freizeit- und Kommunikationsgestaltung sowie das soziale Leben hinterfragt.
Die Kartoffelgrafik des aktuelle Modells wurde 2001 herausgebracht und zeigt die Milieus in Deutschland, sortiert entlang der sozialen Lage von oben nach unten und, entlang der Grundorientierung, von links nach rechts. Je höher das entsprechende Milieu in der Grafik angesiedelt ist, desto gehobener sind Bildung, Einkommen und Berufsgruppe der Personen; je weiter es sich nach rechts erstreckt, desto moderner sind deren Grundorientierung.

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Die Sinus-Milieus® in Deutschland 2007. Quelle: Sinus Sociovision

So stringent wie es bei der Milieuklassifizierung erscheint sind die Konsumverhalten der Verbraucher nicht. Die Unterteilungskriterien wie das Alter, das Geschlecht oder das Einkommen sind wohl eine notwendige Orientierung, sie sind jedoch nicht unbegrenzt verlässlich. Insgesamt haben Statussymbole, die Religion, der Lebensstandart und die Stellung im Produktionsprozess als Milieuindikatoren abgenommen, Stil, Alter und Bildung hingegen zugenommen. Soziale Milieus bilden sich zunehmend als Gemeinschaften, deren Erlebnisansprüche zu zentralen Persönlichkeitsmerkmalen geworden sind. So gibt es den Besserverdienenden, der das Internet mit Ausdauer nach Schnäppchen durchforstet, oder den Porschefahrer, der seine Lebensmittel bei Aldi und seine Designerkleidung in weit weg gelegenen Factory Outlets kauft. Der Konsument wird zunehmend unberechenbarer und innerhalb der zunehmende Zersplitterung der modernen Gesellschaft in Kulturen, Subkulturen, Cliquen und Einzelkämpfern entsteht eine Fülle von Lebenskonzepten, die in dem von der Milieuklassifizierung vorgehaltenen Grobraster längst nicht unterzubringen sind. Insgesamt wird sich kaum ein Mensch finden, der alle idealtypischen Kriterien einer Gruppierung erfüllt.

Dennoch ist das, was sich als persönlicher Stil zeigt, wesentlich in der aktiven Auseinandersetzung mit konventionellen Kulturinhalten entstanden. Das gesellschaftliche Umfeld ist lebenslang Kontrolle, Korrektiv und Produzent von Deutungsmustern welche, auch wenn dies notwendig zu Verallgemeinerungen führt, untersucht werden sollten.