Fünf Thesen zur Objektbedeutung

These 1: Dinge bedeuten Identität

Die persönlichen Gegenstände mit denen sich der Mensch umgibt bieten ein großes Potential für das Heranbilden und Herausstellen von Identität. Der Mensch verleiht den Objekten mit denen er Umgang hat eine symbolische Bedeutung, welche sie an sich, also aus sich selbst heraus nicht besitzen. Diese entsteht sozial, d.h. zeit- und kulturabhängig und individuell zugleich, da sie erst im Laufe des Lebens in Abhängigkeit der Kultur erlernt worden sind. So verweisen sie nicht primär auf die ästhetischen Vorlieben, sondern vor allem auf das Wertesystem mit dem sich der Besitzer in Verbindung bringen lassen möchte. Die Produkte geben Hinweise auf die allgemeinen Weltanschauungen der Konsumenten.

Die Gegenstände werden daher vom Menschen nicht in erster Linie zu Bewältigung der physikalischen Umwelt ausgewählt, sondern vorwiegend der Information willen, die sie anderen übermitteln. Die Dinge, die dem Sinn nach am effektivsten für andere da sind werden im Streben nach Anerkennung zum geschätztesten Eigentum. Sie sind Zeichen kultureller Identität und geben Aufschluss über Status und soziale Zugehörigkeit.

Soziale Klassen definieren sich überhaupt erst durch den Gebrauch bestimmter Güter. Die in der Gesellschaft mit den Produkten assoziierten Bedeutungen und Botschaften schaffen Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und ermöglichen darüber hinaus die Festigung des Selbstbildes und der eigenen Identität. Die Dinge zeigen wer man ist bzw. wer man sein möchte. Ihre praktische Funktion ist dabei meist nur von zweitrangiger Bedeutung.

Da die Menschen sich innerhalb der Gesellschaft ständig deuten und bedeutet werden kann sich Niemand den allgegenwärtigen Botschaften der Dinge entziehen. Die Welt der Güter und die Prinzipien ihrer jeweiligen Symbolgehalte sind von herausragender Bedeutung für die heutige Zeit.

These 2: Dinge sind Zeichen

Die Dinge lassen sich ausnahmslos als Zeichen betrachten, deren Bedeutungen durch das Individuum erlernt werden müssen, um diese handhaben zu können.

In der Notwendigkeit der Komplexitätsreduktion und des zwischenmenschlichen Austausches kommuniziert der Mensch letztlich nicht über die Dinge als solche, sondern über Bedeutungsmodelle. Diese basieren auf der Grundlage einer sprachlich, kulturell, etc. festgelegten, jedoch auch individuell offenen und zeitlich veränderbaren Interpretation von Zeichen. Diese Zeichen treten dem Menschen in Form eines riesigen Netzwerkes gegenüber und fordern ihn so täglich zu einer immensen Menge von Interpretationen auf.

Die Interpretation der Zeichen, d.h. die Zuweisung von Bedeutung geschieht im Alltag jedoch meist automatisch und unreflektiert.

Zeichen sind keine draußen in der Welt vorgefundenen Dinge sonder vom Menschen selbst hergestellte Bedeutungsrelationen, bei dem Verschiedene, fiktive oder reale, Phänomenen in ein Verhältnis gesetzt bzw. auf einander bezogen werden. Rot bedeutet beispielsweise „Stop“ bei einer Verkehrsampel und „links“ in der Politik. Durch das Erschaffen neuer Zeichen wirkt der Mensch auf die Welt ein und verändert sie.

Indem ein Zeichen interpretiert dient es immer auch als ein Medium der subjektiven Sinnstiftung, in dem die persönlichen Eigenarten des Interpretierenden mit einfließen. Auch wenn erst die Kenntnis der jeweiligen kulturellen Konventionen eine gesellschaftlich „korrekte“ Interpretation des Zeichens ermöglicht, ist diese aus subjektiver Sicht nie abgeschlossen oder bis ins letzte Detail festgelegt.

These 3: Bedeutung ist kontextabhängig

Die Interpretation eines Gegenstands ergibt sich aus der individuellen und situationsbedingten Position des Beobachters, sowie aus dem Zusammenhang in dem er wahrgenommen wird. Die Dinge stellen sich je nach Zeit, Situation und Beobachter unterschiedlich dar und werden individuell und kontextabhängig zu Trägern von Bedeutung. Der Philosoph und Soziologe Jean Baudrillard ist der Auffassung, dass ein einzelner Gegenstand, ganz und gar isoliert betrachtet und für sich genommen vollkommen bedeutungslos ist.

Ein tunesischer, aus Elfenbein geschnitzter Elefant kann im Laufe seines „Lebens“ einen mehrmaligen Bedeutungswechsel erlebt haben: zuerst im Haushalt einer tunesischen Familie, als Vermögensanlage bzw. als Versicherung und Vorsorge für schlechte Zeiten, dann, von der tunesischen Familie wegen einer Hungersnot verkauft, als Erinnerungsstück an die Reise, in Besitz eines Touristen nach Europa gebracht, schließlich dort in einer Galerie für Afrikanische Kunst an ethnologisch interessierte Kunden angeboten und an Jemanden verkauft, welcher wiederum außereuropäisches Kunsthandwerk für sich als Modeartikel entdeckt hat.

Eine alte, zerfallene Hütte in einer verlassenen Bergregion bei einem Schneesturm bedeutet möglicherweise Hoffnung, Unterschlupf, Schutz, Wärme und Geborgenheit. Eine ganz ähnliche Hütte zwischen Millionärsvillen in einer guten Wohngegend bedeutet hingegen Armut; sie ist dort fehl am Platz, ein Fremdkörper. Die Hütte in felsiger Landschaft, mit Krippe, Esel, Mann, Frau und Säugling steht wiederum für die Geburt des Christuskind und für Weihnachtszeit. Auch ein gewöhnliches Bügeleisen kann je nach Kontext mit unterschiedlichen Bedeutungen in Verbindung gebracht werden: In der Hand einer Hausfrau die am Bügelbrett stehend ihren hausfraulichen Pflichten nachkommt ist seiner Bedeutung nach ein technischer Gegenstand zum Glätten von zerknitterter Bügelwäsche; eine ganz ähnliche Szene kann auf einem Werbeplakat Reinheit, Perfektion und Ordnungssinn versinnbildlichen. Das Bügeleisen an der herabhängenden Hand einer Frau im Zusammenhang mit einem am Boden liegenden Mann mit blutender Kopfwunde bekommt die Bedeutung einer Tatwaffe bzw. eines Mordwerkzeuges.

Die Bedeutung eines Gegenstands ist neben seiner Bezugnahme auf einen Zusammenhang auch abhängig von den situationsbedingten Umständen, in denen es angetroffen wird bzw. aus welcher Situation und Motivation heraus man sich dem Objekt nähert. „Wenn wir unsere Stühle und Tische anschauen, “sehen” wir ein datum datissimum, dann Kegel, dann Oberflächen, Stuhl, Beine–Sitz-Lehne, Holz, Bambus, Fasern, Zellen, Moleküle, Atome, Elektronen… wobei die vielen Sinne von “sehen” mit dem Wechsel der Zeichen-Situationen in geordneter Hierarchie fortschreiten. Und so wie der Blickpunkt, das Interesse, die wissenschaftliche Methodik und das Forschungsziel sich ändern, so wechseln auch die Ebenen, die durch diese Bezüge dargestellt werden.“ Ob ein Produkt als schön, hässlich, sinnvoll, etc. angesehen wird, ist immer auch abhängig davon, worauf es sich bezieht, sowie auf die Unterscheidungskriterien- und Fähigkeiten des Betrachters. Es gibt letztendlich keine vom Kontext unabhängige Zuordnung von Bedeutung.

These 4: Bedeutung entsteht durch Assimilation

Wahrnehmen ist das einordnen einer sinnlich vorhandenen Außenwelt in überschaubare und bekannte Kategorien. Der Sinn der Wahrnehmungsreduktion besteht darin, die Komplexität der Umwelt auf ein für den Menschen annehmbares Maß zu reduzieren, da er durch die unzählig vielen Zustände sonst ständig überfordert wäre. Es ist die Eigenschaft des Nervensystems nicht beliebig jedes Element mit jedem zu verbinden und dadurch in einem Zustand völliger Beliebigkeit zu enden, sondern aus dem Überfluss an Relationen immer nur die Relationen heraus zu selektieren, die für den Fortbestand hilfreich sind. Würde der Mensch auf jede Änderung seiner Umwelt reagieren und hätte er es mangels einer Selektionsleistung des Nervensystems mit einer überkomplexen Gleichzeitigkeit zu tun würde er seine Umwelt wohl kaum noch oder nicht mehr bewältigen können. Das Nervensystem vermittelt zwischen der überkomplexen Welt und dem Maß an Komplexität, die der Mensch verarbeiten kann, indem es bestimmte Zustände der Welt von vorneherein ausschließt. Es sortiert Erfahrungen, indem es Strukturen bildet, die aus verschieden ausgeprägten und verzweigten Verbindungen von Neuronen bestehen und durch bestimmte Reize der Sinnesorgane aktiviert werden.

Da es jedoch eine große Menge unterschiedlichster Strukturen gibt, bedarf es der Organisation. Diese Organisation leisten Schemata, die wiederum speziell ausgebildete Nervenstrukturen sind. Ein unbekannter Reiz bildet zunächst eine neue Struktur im Nervensystem. Damit eine Erfahrung bewusst werden kann benötigt sie immer die Möglichkeit der Anbindung an eine passende oder erklärende Struktur. Kann diese Struktur durch vorhandene Schemata nicht oder nur unzureichend verstanden werden, wird für sie ein neues Schema gebildet oder ein altes Schema angepasst, d.h. assimiliert.

Bei der Assimilation werden verschiedene Aspekte der neuen Situation einfach übersehen. Gleichheiten werden wahrgenommen und die Unterschiede fallen unter den Tisch.

Die Bedeutung eines Gegenstands wird immer durch die Kenntnis vergleichbarer Produkte angeglichen. Der Interpretierende verbindet den wahrgenommenen Gegenstand mit anderen Dingen und mit früheren Erfahrungen dieser Dinge. Die durch eine Person wahrgenommenen Gegenstände werden auf Grund visueller Gewohnheitsbildungen angeglichen. Jede interpretierte Bedeutung eines Gegenstands ist dabei wiederum Kontext für weitere Deutungen von Gegenständen. Die vom Menschen bedeutete Welt macht Sinn und schafft Wert, weil die in ihr hervorgebrachten Gegenstände stets auf andere Gegenstände verweisen. Wahrnehmung ist kein einfaches Registrieren sondern immer schon Zuweisung von Bedeutung.

These 5: Bedeutung ist beeinflusst von Kultur und Gesellschaft

Die Vorstellungen und Gewohnheiten, sowie gedanklichen Strukturen und alle Begriffe eines Menschen gründen sich wesentlich auf die Kulturgeschichtliche und auf die gesellschaftliche Praxis in der er eingebunden ist. Die Bedeutung der Dinge wird von Anfang an erst im intersubjektiven Handeln geschaffen. Dementsprechend interpretiert der Mensch die Gegenstände als Zeichen vor dem Hintergrund seiner kulturellen Kompetenz.

Bedeutungen sind nicht naturgegeben sondern müssen vom Menschen geschaffen werden. Es gibt demnach keine korrekte vorgegebene Interpretation der Dinge, die nur gefunden werden muss. Hervorgebrachte Interpretationen werden mit den Interpretationen anderer verglichen und durch jew. kulturelle Merkmale beeinflusst. Sie können daher nicht von sozialen Werten getrennt werden. Ob eine Bedeutung jew. relevant ist entscheidet die für eine Person relevante Gesellschaft. „Sinn ist eine kulturelle, vor allem eine symbolisch-sprachliche Schöpfung. Sinn wird der Welt nicht entnommen, sondern ihr aufgeprägt.“[1] Bedeutungen werden innerhalb der Gesellschaft geschaffen und auch wieder zerstört. Es braucht immer einen Konsens mit Anderen. Keine Standards und keine Verbindlichkeiten sind von Bedeutung außerhalb von gesellschaftlichen Konventionen.

[1] Jensen, Stefan; Erkenntnis – Konstruktivismus – Systemtheorie. Einführung in die Philosophie der Konstruktivistischen Wissenschaft. Opladen / Wiesbaden, 1999, S.82.